Talentmanagement (im Folgenden TM) umfasst alle personalpolitischen Maßnahmen zur langfristigen Sicherstellung der Besetzung kritischer Rollen und Funktionen. Als wettbewerbsorientierte Reaktion im Kampf um "Talente" haben viele Unternehmen Verfahren entwickelt, mittels derer sie "Talente" (sog. Potenzialträger) im Unternehmen auffinden und durch gezielte Entwicklung binden möchten.
Erfolgreiches TM lässt sich an der Anzahl der Potenzialträger im Unternehmen, an der Geschwindigkeit in der Besetzung wichtiger Stellen sowie an der Zufriedenheit und Loyalität der "Talente" ? also auch an der Attraktivität des Arbeitgebers für diese Zielgruppen ? messen.
Riskant ist, dass letztlich niemand exakt einschätzen kann, welche Auswirkung eine Einteilung der Belegschaft in "Mitarbeiter mit" und in "Mitarbeiter ohne" Potenzial auf die Leistungsfähigkeit und auf die Kultur eines Unternehmens haben wird.
Regularien und standardisierte Instrumente in komplexen Systemen haben häufig unerwünschte "Nebenwirkungen". Bei vielen verbreiteten Talent-Management ? Programmen sind diese Seiteneffekte so problematisch, dass sich die Frage stellt, ob die gängigen Arbeitsansätze nicht grundsätzlich überdacht werden müssen. Dieses Thema betrifft weniger die Anstrengungen zur offensiven Rekrutierung von Talenten auf dem Arbeitsmarkt, sondern vielmehr die nach innen gerichteten Strategien.
TM Konzepte
Die Grundlogik der meisten TM-Systeme besteht darin, vielversprechende Mitarbeiter über systematische Potenzial- und Leistungsbeurteilung zu identifizieren. Ausgebaute Ansätze beanspruchen dabei, Potenzial und Leistung nicht nur der Eliten festzustellen, sondern die Erfassung auf alle Mitarbeiter auszudehnen (GRID-Techniken). Nach dem Motto: "Der richtige Mitarbeiter zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort." Die Mitarbeiter erhalten eine Potenzial-Zuordnung, aus der ? im Zusammenhang mit inhaltlichen Interessen und Kompetenzen ? die nächsten Entwicklungsschritte sowie Maßnahmen wie Trainingsprogramme, Stretch-Roles, Entsendungen, Weiterbildungsveranstaltungen abgeleitet werden.
Bei potenziellen Führungskräften wird der Beurteilung durch den Vorgesetzten häufig noch ein AC mit externen Partnern hinzugefügt, um die internen Einschätzungen zu verifizieren und Lernfelder für künftige Trainingsmaßnahmen zu identifizieren. Die Potentialträger werden in einem Pool geführt, der als "Goldfischteich" die Nachfolgeplanung erleichtern soll. Dazu werden mit einem hohen administrativen Aufwand meist umfassende Dokumentationen in Datenbanken durch die Personalabteilung erstellt.
== Das Grundproblem ==
Nach Einschätzung der Autorinnen besteht das Grundproblem von üblichen TM-Systemen darin, dass unterschiedlichste, zum Teil sogar gegenläufige Ziele mit ein und demselben System erfasst werden sollen ? was im Endeffekt dazu führen kann, dass kein einziges Thema wirklich vernünftig bedient wird.
Während Mitarbeiterfindung und Nachfolgeplanung Suchprozesse für geeignete Personen auf offene Stellen verlangen, also im Grunde Auswahlprozesse darstellen, sind Mitarbeiter- und Führungskräfteentwicklung sowie Mitarbeiterbindung Anliegen, die zunächst ausdrücklich nichts mit Platzierung zu tun haben, sondern vollkommen andere Logiken verlangen.
Für alle der genannten Themen stellt sich darüber hinaus die Frage, ob Potenzialdiagnostik dazu überhaupt erforderlich ist. Denn Stellenbesetzungen erfordern nicht die Erfassung von Potenzialen, sondern die Erfassung von für die Stellen relevanten Kompetenzen. Potenziale zu unterstützen, erfordert ebenfalls nicht die explizite Feststellung und Kommunikation derselben, sondern vielmehr die Mobilisierung von Aktivitäten zur möglichst weiten Entfaltung dieser vorhandenen Potenziale.
Im Folgenden werden Grundprobleme gängiger TM-Ansätze beschrieben sowie Anregungen und Empfehlungen für Alternativen dargestellt - jeweils bezogen auf die mit TM verbundenen unterschiedlichen Ziele Mitarbeiterfindung, Nachfolgeplanung, Mitarbeiterentwicklung, Mitarbeiterbindung und Weiterentwicklung der Führungskultur und -kompetenz im Unternehmen.
1. Interne Mitarbeiterfindung
Um intern Mitarbeiter zu finden, bietet sich eine systematische und strukturierte Selbstpräsentation nach der Logik von Kompetenznetzwerken (wie etwa XING) an. Faktisch nutzen bereits viele Führungskräfte trotz existierender TM Systeme lieber solche Netzwerke, obwohl diese nicht einmal optimal auf dieses Ziel zugeschnitten sind.
Interne Expertendatenbanken, "Gelbe Seiten" oder Kompetenzkarten helfen an dieser Stelle weiter. Der Aufbau eines für die internen Prozesse passenden Systems, in das Mitarbeiter eigenständig ihre codierten Kompetenzprofile einpflegen, kann so gesehen sinnvoll sein. Ein solches, in Struktur und Kriterien im Sinne des Unternehmens auf Mitarbeiterfindung hin ausgelegtes System sollte der Logik der User folgen. In das gleiche System könnten offene Stellen eingespeist werden, so dass sowohl Aktivbewerbungen als auch interne Personalsuche ermöglicht würden. Für Mitarbeiter, die über ein solches System gefunden werden und in eine engere Auswahl kommen, können zusätzliche Referenzen eingeholt werden (etwa von Vorgesetzten und internen Kooperationspartnern), um Stellenbesetzungen im Sinne relativer Bestenauslese zu optimieren.
Auf diese Weise wäre erstens das Risiko eingedämmt, dass Vorgesetzte - aus welchen Gründen auch immer ? für ihre Mitarbeiter zum Entwicklungshindernis werden können. Zweitens könnten Kränkungen durch Potenzialeinschätzung vermieden werden, drittens könnten Mitarbeiter sich eigeninitiativ im Unternehmen bewegen, viertens wäre der administrative Aufwand in den Personalabteilungen, Kandidaten in den jeweiligen Datenbanken zu führen, erheblich geringer.
Dem vorgeschlagenen Ansatz liegt folgende Überlegung zu Grunde: Es gibt keine schlüssigen empirischen Hinweise darauf, dass Fremdeinschätzungen der Kompetenz/des Potenzials (z. B. durch Vorgesetzte) Selbstbeschreibungen grundsätzlich überlegen wären. Dies liegt vor allem darin begründet, dass nur Performanz von außen beobachtbar ist, Kompetenz hingegen erschlossen werden muss.
Während Vorgesetzte also nur auf Basis von Beobachtungen im eigenen Milieu beurteilen können, können Mitarbeiter Aussagen zu ihrer Kompetenz in allen Kontexten machen, die sie je erfahren haben. Selbsteinschätzungen sind nach derzeitigen Erkenntnissen besonders dann aussagefähig, wenn sehr konkrete und kontextbezogene Informationen erhoben werden, und wenn im Zweifelsfall zusätzlich Fremdeinschätzungen nacherhoben werden bzw. dies angekündigt wird ? dadurch werden Beschönigungstendenzen eingedämmt und Selbstunterschätzung korrigiert.
Unter Bedingungen zunehmender Komplexität sind Vorgesetzte heute vielfach überhaupt nicht mehr in der Lage, die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter angemessen einzuschätzen. Dies gilt besonders da, wo Spezialisten und Experten von Vorgesetzten geführt werden, die keine einschlägige fachliche Kompetenz mitbringen. Vorgesetzte werden für ihre Mitarbeiter auch zum Nadelöhr, wenn sie zu früh in Bewertungsprozesse eingebunden werden oder nicht daran interessiert sind, ihre Mitarbeiter zu entwickeln. Fremdeinschätzungen von Kompetenzen und Potenzialen sind darüber hinaus mit einem hohen motivationalen Risiko bis hin zum Kränkungsrisiko mit gesundheitlichen Folgen verbunden. Für die Unternehmenskultur könnte ein Zurückdrängen nicht funktionaler Bewertungsprozesse zugunsten von Selbstbeschreibungen einerseits und offener Information über positionsrelevante Kriterien andererseits daher förderlich sein.
2. Nachfolgeplanung
Auf dieser Basis bietet es sich an, auch potenzielle Nachfolger zu recherchieren und zu einem geeigneten Zeitpunkt definitiv zu bestimmen und systematisch einzuarbeiten bzw. Mitarbeiter könnten sich zugleich selbst breiter für mögliche Nachfolgen engagieren und vorbereiten. Potenzielle alternative Nachfolger können so gefunden werden ohne ihnen zu suggerieren, sich in einem Schlussrennen um attraktive Stellen zu befinden. Denn Konkurrenz im Sinne von Sportsgeist ist intern nur so lange sinnvoll, solange Kooperation, Synergie und sogar die Bindung von Potenzialträgern nicht dadurch gefährdet werden.
3. Mitarbeiterentwicklung
Menschen werden nicht entwickelt, sie entwickeln sich selbst auf Ziele hin. Das Anliegen der Mitarbeiterentwicklung wird nach Auffassung der Autorinnen am besten realisiert, indem man Schlüsselkompetenzen für relevante Positionen beschreibt ? und mögliche Wege diskutiert und unterstützt, sie zu erwerben. Dies geschieht sinnvollerweise auch im Mitarbeitergespräch.
Dabei besteht die Aufgabe von Vorgesetzten weniger darin, einen Leistungs- und Entwicklungsstand zu bewerten als vielmehr darin, diesen im Rahmen realistischer und sinnvoller Perspektiven zu befördern. Das Aufzeigen von Entwicklungsmöglichkeiten, Inspiration für Entwicklungswege und konkretes Coaching für anstehende Entwicklungsschritte würden dadurch in emotional unbelasteter Weise ermöglicht. Das Jahresmitarbeitergespräch ist für diese Themen ein idealer Rahmen.
Auf allgemeine Potenzialaussagen mit quasi diagnostischem Charakter sollte dagegen im Rahmen von Entwicklungsgesprächen eher verzichtet werden. Dass im persönlichen Gespräch Zutrauen in das Leistungsvermögen ausgedrückt werden soll, versteht sich von selbst. Auch unrealistische Vorstellungen über Entwicklungsmöglichkeiten können korrigiert werden ? eingebettet in die Zuwendung eines persönlichen Gesprächs im Zusammenhang mit der Beschreibung von Entwicklungsschritten.
Der vorgeschlagene Verzicht auf übliche Verfahren der Potenzialdiagnostik hängt mit der enormen Brisanz dieses Vorgangs zusammen. Eine Potenzialaussage ist eine tiefgreifende Aussage über die Person, die weit über die Wertung von Verhalten hinausgeht und den Selbstwert stark tangiert. Sie erfordert im Grunde einen klaren Sinn (Wozu?) und einen individuellen Auftrag (Will ich es wissen?). Übliche Grid?Systeme sind häufig so angelegt, dass 80 Prozent der Mitarbeiter gemäß der Gaußschen Normalverteilung im Mittelfeld angesiedelt werden. Trotz eines erheblichen Erklärungsaufwandes setzt sich die demotivierende Konnotation, dass den Mitarbeitern mehrheitlich Mittelmaß bescheinigt wird, schnell durch.
Studien zum sogenannten Pygmalion- oder Rosenthaleffekt legen nahe, dass dies mit erheblichen Konsequenzen für die Performance verbunden sein kann ? es besteht nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar die Wahrscheinlichkeit, dass den Mitarbeitern dadurch quasi die Flügel gestutzt werden. Nicht nur die Motivation kann einbrechen, sondern auch die Leistung selbst. Diese Zuschreibungseffekte verstärken ihre Wirkung je "valider" das Verfahren ist. D.h., je genauer und aussagekräftiger die diagnostische Methode sein soll, desto mehr wird an das Ergebnis ? mit allen Konsequenzen ? geglaubt.
Umgekehrt wird bei identifizierten Potenzialträgern eine Anspruchshaltung erzeugt, die dazu führen kann, dass das Anliegen, sie zu binden, direkt unterlaufen wird.
4. Mitarbeiterbindung
Leistungsträger und Mitarbeiter mit hohem Potenzial zu binden, ist wichtig, wenn im Kampf um die Talente ein Wettbewerbsvorteil erreicht werden soll.
Um Mitarbeiter zu binden, muss ein Unternehmen Lern- und Entwicklungschancen in Verbindung mit hohen Freiheitsgraden und einem grundsätzlichen Streben nach Sinn und Exzellenz in der Gesamtorganisation bieten. Dies erfordert wesentlich mehr Kreativität, als Leistungsträgern Potenzial zu bescheinigen. Im Gegenteil kann die Zuschreibung von Potenzial genau für dieses Anliegen kontraproduktiv sein, wenn sie auf der Auswahl von Eliten basiert. Ein besonderes Risiko besteht in der aktiven Potenzialzuschreibung. Mitarbeiterbindung muss vielmehr spezifisch auf Leistungsträger zugeschnitten werden. Aus Sicht der Autorinnen sind Mitarbeiterdurchsprachen ein sinnvolles Instrument, um die Frage zu erörtern, wie Leistungsträger (die hoffentlich von ihren Vorgesetzten als solche erkannt werden) zu fördern und zu halten sind. Dabei geht es wiederum weniger darum, die Potenziale dieser Leistungsträger exakt zu identifizieren als vielmehr zu erörtern, wie genau diese Mitarbeiter gefördert und dem Unternehmen erhalten werden können. Hier sind zugeschnittene, der Person entsprechende kreative Ideen gefragt ? und nicht selten muss verhandelt werden. Beispielsweise könnte das Geld, welches in teure Potenzialermittlungsverfahren gesteckt wird, sinnvoller in die Weiterbildung vielversprechender Mitarbeiter investiert werden.
Dieser Ansatz ist alternativ zu gängigen Verfahren der Potenzialdiagnostik zu sehen. Die Zuschreibung von Potenzial weckt Erwartungen - erfahrungsgemäß besonders an die weitere Entwicklung im Unternehmen. Die vom Unternehmen produzierte Anspruchshaltung kann einmünden in einen abwartenden Versorgungsanspruch in Verbindung mit der Frage: Was tut nun, wo ich so wertvoll fürs Unternehmen bin, das Unternehmen für mich? Wenn die Ansprüche nicht zeitnah bedient werden, entsteht ein Risiko, dass identifizierte "High Potentials" demotiviert und frustriert reagieren oder das Unternehmen sogar verlassen.
Mitarbeiterentwicklung auf die Entwicklung von Eliten zu beschränken, beinhaltet zudem ein hohes Risiko, wenn insgesamt eine Exzellenzkultur angestrebt wird. Dabei geht es nicht nur um methodische Risiken der üblichen Assessment Verfahren zur Potenzialfeststellung, von denen drei besonders relevant sind: Erstens das Übersehen von Talent, zweitens die Erzeugung von Monokulturen und drittens die Überbewertung irrelevanter Kriterien. Die Selektion von Potenzialträgern kann unabhängig von der gewählten Methode unterschwellig die Botschaft enthalten, dass der Rest der Belegschaft über kein relevantes Potenzial verfügt.
Mitarbeitern, die in ihrer Funktion wenige Spielräume haben oder sich nicht auf relevanten Bühnen bewegen können, wird so indirekt mitgeteilt, dass sie nicht entwicklungsfähig bzw. -würdig seien. Dies kommt einer "Massenkränkung" gleich ? mit den beschriebenen Folgen für Leistungsbereitschaft und Leistung. Ein weiteres gravierendes Risiko entsteht, wenn Kandidaten am Verfahren scheitern. Mitarbeiter werden für solche Systeme vorgeschlagen, weil sie bereits herausragende Leistung zeigen ? das bedeutet, Leistung ist für sie in der Regel ein besonders relevanter Aspekt ihres Selbstwerts. Die Kränkung bei "Durchfallen" in einem Potenzialfeststellungsverfahren ist deshalb enorm. Nicht nur sind psychische Einbrüche zu befürchten. Der entstehende Gesichtsverlust verlangt nicht selten, dass Leistungsträger nach einem solchen Vorgang das Unternehmen verlassen müssen, um ihre Würde zu bewahren.
5. Weiterentwicklung der Führungskompetenz
Die Weiterentwicklung der Führungsfähigkeit kann auf unterschiedlichen Wegen geschehen. Seminare, Coaching und Beratung durch die eigenen Führungskräfte sind geeignet, Know-How und konkrete Unterstützung zu liefern.
Im Rahmen des TM werden auch Talente beurteilt, die bereits Führungspositionen innehaben. Die verbreitete anonyme Vorgesetztenbeurteilung als Bestandteil von TM trägt nicht nachweislich zur Entwicklung von Führungskompetenz bei, weil sie lediglich Fremdbilder und Rangordnungsinformation generiert und ein ausgesprochen merkwürdiges, unoffenes Kommunikationsmuster fördert. Dem gegenüber erscheint der lösungsorientierte Ansatz, systematisch im direkten Kontakt mit den Mitarbeitern (bzw. in einer 360 Grad Perspektive auch mit Kollegen, Kunden und Vorgesetzten) den Führungsbedarf zu klären, zielführender und erzeugt nachweislich positive Effekte (Koreng und Rummel 2010).
Der weise Gedanke, dass man mit seinen Aufgaben wächst, lässt sich für Führungsfähigkeit so variieren: Man entwickelt Führungskompetenz, wenn man sich ernsthaft darum bemüht, den Führungsbedarf zu treffen und dafür Engagement und Lernfähigkeit aufbringt. Dazu muss man den Bedarf aber kennen. Sich mehr für das zu interessieren, was gebraucht wird und was man bewirkt (statt dafür, wie man wirkt und gesehen wird), ist lösungsorientiert, uneitel und produktiv.
Die Führungskultur wird auch dadurch weiterentwickelt, dass Vorgesetzte untereinander und mit unterstellten Führungskräften über Führung sprechen, die Haltung und Kompetenz fördern, Führungsbedarf zu ermitteln und zu treffen - und gleichzeitig der Führungskraft als Mitarbeiter im Gespräch erstrebenswerte Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen ? wie jedem anderen Mitarbeiter auch.
Fazit
Niemand weiß, wie es sich wirklich auswirkt, wenn durch übliche TM Systeme die Belegschaft in Menschen mit und ohne Potenzial eingeteilt und so einem Großteil der Organisation Mittelmaß bescheinigt und faktisch Entwicklungsgrenzen gesetzt wird. Die Forschung zum sogenannten Rosenthal- oder Pygmalioneffekt legt nahe, dass Menschen sich in Bilder hineinentwickeln können, die Andere von ihnen haben ? auch in negative. Das kann sich eine Kultur, in der Hochleistung erbracht werden soll, eigentlich nicht leisten.
Eine Exzellenzkultur ist vielmehr darauf angewiesen, vorhandenes Potenzial so weit als möglich für Ziele zu mobilisieren. Das ist etwas Anderes als Potenziale oder ihr Fehlen festzustellen. Entwicklung geschieht über Entwicklungsvisionen, Herausforderungen und klare Bestätigung des Potenzials. So konnte Livingstone nachweisen, dass Hochleistungsteams sich von durchschnittlichen Teams vor allem dadurch unterschieden, dass die Vorgesetzten besser über ihre Mitarbeiter dachten ? und ihnen mehr zutrauten.
Nimmt man die Forschung zum Thema ernst, könnte dies bedeuten, dass die Kommunikation von Negativurteilen zum Potenzial nicht nur die Leistungsbereitschaft senkt, sondern die Leistung selbst. Ein solcher für Zielerreichung extrem unerwünschter Effekt wird von allen Systemen, die Zuordnungen nach der Gaußschen Normalverteilung einfordern, ignoriert. Vorgesetzte ahnen bisweilen diesen Effekt und beurteilen in der Tendenz "zu gut" ? was ihnen dann von den Vertretern der TM- und Beurteilungssysteme angekreidet wird - womöglich ohne dass diese ahnen, dass genau jenes "Harmonie"-Verhalten in weiten Teilen schadensbegrenzend und leistungssichernd wirkt.
TM im besten Sinn besteht nach Auffassung der Autorinnen in der Kunst, eine Welt zu erschaffen, der Menschen mit Potenzial zugehören wollen. Menschen mit hoher Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit werden angezogen durch Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit, durch die Chance, darin Meisterschaft zu entwickeln und mit anderen Leistungsträgern exzellente Ergebnisse zu erreichen. In der Regel bestehen sie auf größtmögliche Selbstbestimmung und Autonomie.
Im Kampf um die Talente könnte es sich deshalb auszahlen, Abschied von der verdrehten Logik zu nehmen, Menschen zu "vermessen" und Positionen in Unternehmen quasi als Incentive für vorangegangene Bewährung und Anpassung zu betrachten. Die vorgeschlagenen Alternativen intelligent zu kombinieren, ist sicher nicht einfach ? aber möglicherweise sehr lohnend, wenn man ein Unternehmen und seine Kultur zum "Exzellenzmagneten" entwickeln möchte.
Literatur:
De Vries (1997): Need for leadership: A solution to empirical problems in situational theories of leadership. Dissertation Tilburg University. FEBO Printing: Enschede. ISBN: 90-9010592-1.) Koreng, M., Rummel, M. (2010): Führung im Dialog. In. Management School St. Gallen (Hrsg.): Denkpausen Nr. 10 Krische, P. (2010): Evaluationsstudie zu "Führung im Dialog" für Boehringer Ingelheim, Johannes Gutenberg Universität Mainz. Livingston, J.S. (1969/2008): Pygmalion im Management. Harvard Business Manager, April 2008, 62-76
Autoren Martina Rummel mrummel(at)t-online.de
Andrea Jäger jaeger(at)changeandculture.de
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