Das Assessment Center (AC) ist ein Instrument aus der Personalauswahl mit dem Ziel, Erfolgsprognosen für eine Zusammenarbeit und Entscheidungshilfen für die Einstellung neuer Mitarbeitern zu treffen. In modifizierter Form finden Assessment Center zunehmend auch Anwendung in der innerbetrieblichen Personalentwicklung. Hier dient das Assessment Center als Instrument der Potentialanalyse.
Es geht darum, Mitarbeiterkapazitäten aufzudecken, Mitarbeiter personalplanerisch sinnvoll einzusetzen und einen "War of talents" zu umgehen. Dieses modifizierte Assessment Center wird in der Literatur und Praxis als Entwicklungs-/ Development Center (DC) bezeichnet.
Das Development Center ist grundsätzlich ergebnis- und nicht defizitorientiert und sichert im Rahmen einer geschickten Personalpolitik die Qualität und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Richtig eingesetzt trägt es besonders vor dem Hintergrund des demografischen Wandels dazu bei, vorhandene Personalressourcen effektiv und nachhaltig einzusetzen.
Einen besonderen Effekt in Bezug auf die Mitarbeiterbindung erzielt dieses Instrument dadurch, dass es gleiche Chancen für jeden Mitarbeiter im Unternehmen schafft, die eigenen Fähigkeiten herauszustellen und sich persönlich zu entfalten. Dies ermöglicht sowohl dem Unternehmen als auch dem Mitarbeiter die optimale Ausschöpfung vorhandener Potenziale: Über- und Unterforderung werden vermieden.
Was steht hinter der Idee des Assessment Center ?
"Assessment" bedeutet Beurteilung, Bewertung, Einschätzung. Bei einer wissenschaftlichen Beurteilung stehen die Prinzipien Genauigkeit (Validität), Verlässlichkeit (Reliabilität) und Objektivität im Vordergrund, um zu möglichst belastbaren Erkenntnissen als Grundlage für weitere Entscheidungen zu gelangen.
Die Grundidee eines Assessment Center liegt darin, durch eine Kombination von mehreren bewährten Diagnoseinstrumenten die jeweiligen Schwächen der verschiedenen Instrumente auszugleichen und Prognosen treffen zu können, die den oben genannten Gütekriterien und letztendlich dem Teilnehmer am ehesten gerecht werden.
Zur Qualitätssicherung in der berufsbezogenen Eignungsbeurteilung beschreibt die DIN 33430 als Prozessnorm die Planung, Durchführung und Interpretation von Verfahren zur Personalbeurteilung. Ziel der Standardisierung ist es, die Erkenntnisse aus der psychologischen Eignungsdiagnostik in die Praxis zu übertragen und so neben der verbesserten Aussagekraft der Verfahren eine erhöhte Akzeptanz auf Seiten der Beurteilten zu erzielen.
Wie sieht ein Assessment Center aus?
In teilweise mehrtägigen Seminaren (1-3 Tage) werden die Teilnehmer (1-12 Personen) mit verschiedenen Verfahren der Personalauswahl konfrontiert, die eine hohe Relevanz für bestehende oder zukünftige Aufgabenfelder haben. In Rollenübungen und Fallstudien werden die Teilnehmer dabei von geschulten Führungskräften und Personalfachleuten beobachtet.
Dabei ist der "Multi-Gedanke" zentral: Mehrere Teilnehmer werden von mehreren Beobachtern in mehreren Verfahren erlebt, um zu einem möglichst objektiven, validen und verlässlichen Urteil zu gelangen.
Übungsbeispiele aus Assessment Centern:
- Strukturiertes Interview
- Leistungs- und Persönlichkeitstests
- Organisationsfallstudien
- Mitarbeitergespräche
- Präsentationen
- Feedbackgespräche
- Informationssuche-Fallstudien-Rollenspiele
- Konzept- und Strategieentwicklung
Ziel eines Development-Centers/Potenzial-Assessments
Ein Potenzial-Assessment Center dient der Personalentwicklung. Die Teilnehmer sollen die Aufgaben der angestrebten oder möglichen einnehmbaren Positionen tatsächlich erleben und dabei zeigen können, was sie mitbringen, um diese Aufgaben zu erfüllen. Es gilt der Grundsatz "zeigen lassen" vor "erzählen lassen".
Durch ein anschließendes konstruktives Feedback erhalten die Teilnehmer ein individuelles berufsbezogenes Stärken/Schwächen Profil, durch welches sie sensibilisiert werden sollen, die eigenen Fähigkeiten kritisch zu reflektieren. Diese Chance zur Selbstwahrnehmung bildet die Grundlage einer möglichen Verhaltensänderung im Sinne von lebenslangem Lernen zugunsten der eigenen Berufsplanung. Des Weiteren ermöglicht der Abgleich des Ist-Profils mit dem Soll-Profil die Ableitung individueller Personalentwicklungsmaßnahmen.
Im Rahmen des demografischen Wandels gilt es unter anderem, vorhandenes Wissen im Unternehmen zu halten und Aufgaben und Tätigkeitsfelder der älteren Arbeitnehmer entsprechend zu optimieren. Ziel ist es somit, ein Stärken-Schwächen Profil jedes Mitarbeiters zu erhalten, Defizite beim Personaleinsatz offen zu legen und individuell zu beseitigen.
Auf lange Sicht sichert sich das Unternehmen somit einen Stamm hochqualifizierter Arbeits- und Nachwuchskräfte. Vor dem Hintergrund des vorherzusehenden Fachkräftemangels erhält dieser Aspekt zunehmend Brisanz.
Wie läuft ein Development Center ab?
Bei der Durchführung eines Development Centers können drei Phasen unterschieden werden:
Phase der Konzeptionalisierung
- Klärung der Zielsetzung
- Ermittlung der Anforderungen (entwickelbare Schlüsselkompetenzen)
- Auswahl der Verfahren
Phase der Durchführung
- Auswahl der Teilnehmer (durch Vorgesetzte oder nach Abschluss einer bestimmten Laufbahnphase, Bewerbung)
- Organisatorische Vorplanung (Raum, Material, Vorinformationen an die Beteiligten)
- Beobachtertraining
- Durchführung
- Datenauswertung
- Feedbackgespräche
Phase der Nachbereitung
Umsetzung der Feedbackempfehlungen, (Trainingsmaßnahmen, Karriereentscheidungen) Verfahrensevaluation
Vor- und Nachteile von Development-Centern
Aus testpsychologischer Sicht bietet das Development Center durch die Vielfalt der Methoden und die Bewertungsmodalitäten ein Maximum an Aussagekraft auf beiden Seiten. Die Transparenz des Verfahrens und die Orientierung an genau beschriebenen Anforderungen bedingen die Fairness und tragen zur Akzeptanz der Ergebnisse von Seiten des Teilnehmers bei.
Die positive Kosten-Nutzen-Relation von gezielten Personalentwicklungsmaßnahmen im Anschluss an ein DC und die Planungssicherheit bei interner Personalbesetzung bieten deutliche Vorteile gegenüber einer Personalentwicklung "nach dem Gießkannenprinzip" und hohe Anwerbungskosten von externen Mitarbeitern. Neben der individuellen Kompetenzerweiterung bietet sich so die Möglichkeit, Personalentwicklung zielgruppenspezifisch zu organisieren. Auf Mitarbeiterseite hilft das DC bei der individuellen Laufbahnplanung und trägt so erheblich zur Arbeitsmotivation jedes einzelnen bei.
Zu den Nachteilen zählt der hohe Planungs- und Kostenaufwand. Das Vorhandensein von qualifiziertem Personal zur Planung und Durchführung des AC bzw. DC ist maßgeblich für den Erfolg. Ob die Beratungsleistung extern eingekauft wird, ist Abwägungssache. Wichtig ist, dass die Erkenntnisse, die durch das Assessment Center gesammelt werden, im Unternehmen bleiben und nicht mit den externen Beratern wieder abwandern.
Zentral bleibt jedoch die Notwendigkeit einer qualifizierten Durchführung. Das DC ist ein gewichtiges Instrument: die Risiken infolge einer unqualifizierten und nicht auf Vertrauensbasis durchgeführten Maßnahme bestehen in der Umkehrung der großen Vorteile einer kompetenten Durchführung. Der angesprochene Schaden zeigt sich in den Folgen der inneren Kündigung: Loyalitätsverlust, Demotivation, schlecht Arbeitsleistungen und ähnliches.
Worin unterscheidet sich das Assessment Center vom Development Center ?
Geht es beim einem "herkömmlichen" Personalauswahl-AC darum, Kandidaten anhand von Anforderungen wie Teamfähigkeit, Überzeugungskraft, Analysefähigkeit, Organisationstalent zu beurteilen, so stellt sich beim Potenzial-Assessment die Frage, welche konkreten Hilfestellungen geleistet werden können, nachdem eventuelle Schwächen aufgezeigt wurden. Der Aufwand der Vor- und Nachbereitung eines Potenzial-Assessment Centers ist folglich höher als beim Auswahl-AC.
Auch gilt es, die Gefahren und Risiken zu kennen. Das Selbstwertgefühl eines Mitarbeiters kann unter Umständen durch das Feedback empfindlich gestört werden. Aus diesem Grunde eignen sich eigenschaftsbasierte AC-Profile nicht für ein internes Potenzial-AC. Persönlichkeitstests sollten bei langjährigen Mitarbeitern vermieden werden und aufgabenorientierte Anforderungsprofile zentral sein. Noch gewichtiger ist das Argument, dass Ergebnisse aus eigenschaftsbasierten Assessment-Centern nicht konsequent in Bildungsmaßnahmen umgesetzt werden können.
Wird das Development Center hingegen aufgabenorientiert konzipiert und auf bestimmte Zielfunktionen (z.B. Mitarbeiterführung) zugeschnitten, lassen sich die Ergebnisse an der Schnittstelle zu anschließenden Personalentwicklungs-Instrumenten in konkrete Maßnahmen überführen (individuelle Karriereplanung, Seminarangebote, Coaching, etc.).
Worauf ist zu achten?
Erst ein hoher Grad an Professionalität ermöglicht es, alle Vorteile eines Development Center zu nutzen ohne Schaden anzurichten. Die Transparenz des Verfahrens ist neben der ausführlichen Information aller Mitarbeiter vorauszusetzen. So gilt es, eine Vertrauensbasis zum Umgang mit den gewonnenen Erkenntnissen über die Mitarbeiter zu schaffen.
Vorrangiges Ziel ist es, die eigenen Mitarbeiter und ihr persönliches Leistungspotenzial kennen zu lernen. Dies kann nur valide gemessen bzw. gezeigt werden, wenn alle Bedenken und Ängste ausgeräumt, klare Regeln zum Feedback bestehen und der Mitarbeiter durch erfahrene Gesprächspartner angemessen gefordert wird.
Ein Beispiel aus der Praxis
Ikea nutzt das Konzept des Development Center in der Form eines "Orientierungsfeldes". Hier wird das Konzept des AC gezielt zur Potenzialanalyse genutzt und die Ergebnisse in individuelle Personalentwicklungsmaßnahmen umgesetzt. Jeder Mitarbeiter erhält nach einem Potenzial-AC einen individuellen Entwicklungsplan, unabhängig davon, wie erfolgreich er das Seminar abgeschlossen hat.
Dieses sehr aufwändige Personalentwicklungs-Programm hat sich in der Praxis bewährt und bildet die Grundlage dafür, leistungsfähige Potenzialträger im Unternehmen zu identifizieren und bei Besetzungsentscheidungen zu berücksichtigen. Neben dem Vorteil der erfolgreichen Personalpolitik nach dem Motto "Die/ der richtige Frau/Mann an der richtigen Stelle", trägt dieses Vorgehen erheblich zur Mitarbeitermotivation bei.
Ikea fällt zwar nicht in die Kategorie mittelständischer Unternehmen, dieses Praxisbeispiel läßt sich jedoch auch auf solche Unternehmen übertragen. Es zeigt exemplarisch, dass der partnerschaftliche Umgang zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer einen Erfolgsfaktor bei der Steigerung des Humankapitals darstellt. Die Unternehmensgröße spielt in diesem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle.
Autorin
Sabine Schreiber
sabine.schreiber(at)psych.rwth-aachen.de