1 Einführung
Unternehmen haben gut für ihre Zukunft gesorgt, wenn sie über moderne Produktionsmethoden verfügen sowie einen längerfristigen Plan, wie sie innovative und konkurrenzfähige Produkte anbieten werden. Das ist die Hauptsache. Personalarbeit wird deshalb aber nicht zur Nebensache, sondern sie ist ebenfalls ein strategischer Erfolgsfaktor der Unternehmensführung. Anhaltend Erfolg kann nur haben, wer das richtige Personal an der richtigen Stelle einsetzt, Personal qualifiziert, motiviert und in die richtige Arbeitsorganisation einbindet. Was eine solche wirkungsvolle Personalarbeit ausmacht, ist kein Geheimnis. Es gibt dazu seit langem wissenschaftliche Erkenntnisse und Gestaltungsempfehlungen. Die entscheidende Frage ist nun: Fordert die Digitalisierung eine andere Personalarbeit? Die Antwort: Ja und Nein. Denn in manchen Unternehmensbereichen muss sich herzlich wenig ändern, in anderen dagegen sehr viel. Grundsätzlich gehe ich von dieser These aus: In digitalen Zeiten wird der Faktor Personalarbeit noch wichtiger, um ein Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten. Denn nur mit einer guten Personalarbeit kann ein Unternehmen die möglichen Vorteile der Digitalisierung überhaupt ausschöpfen.
2 Arbeit an den "zwei Wirklichkeiten der Organisation"
Personalarbeit hat vorrangig zwei Funktionen: Sie versorgt Unternehmen mit geeignetem Personal und - zweitens - fördert und entwickelt sie Personal, damit es wirksam eingesetzt werden kann. Den Verantwortlichen muss dabei bewusst sein: Der Einsatz von Menschen lässt sich nicht - wie beispielsweise der von Maschinen - planen. Menschen arbeiten auf der Grundlage von Arbeitsverträgen, die interpretations-, also gestaltungs- und aushandlungsbedürftig sind. Und jeder Mensch hat einen eigenen Informationsstand, verfügt über verschiedene Kompetenzen und Aufgaben. Was auf viele Köpfe verteilt ist, muss also erst mit einer qualifizierten Koordinations- und Lenkungsarbeit sinnvoll zusammengefügt werden.
Das Personal ist wichtig für die geplanten Tätigkeiten, die in Stellenbeschreibungen und Arbeitsaufträgen beschrieben werden. Doch seine Bedeutung geht weit darüber hinaus. Der Grund: Menschliche Arbeit kann nur begrenzt geplant werden. Und: Unternehmen steuern Prozesse auf der Grundlage bürokratisch geplanter Abläufe. Das ist die Welt der Organigramme und Fertigungspläne. Doch so akribisch Arbeit und Produktion auch geplant werden: Immer bleibt die Notwendigkeit, zu improvisieren, sinnvoll und rasch einzugreifen und auf Unerwartetes zu reagieren - weil geplante Abläufe gestört werden, Situationen eintreten, die "im großen Plan" gar nicht vorgesehen sind, weil einfach neue Ereignisse eintreten. Die Kreativität des Personals ist auch erforderlich, um schlecht geplante bürokratische Vorgaben durch eine effizientere Praxis zu ersetzen. Dass Organisationen gar nicht überlebensfähig sind, wenn sich das Personal nur an die offiziellen Vorgaben hält, darauf hat Friedrich Weltz (1999) hingewiesen. Seiner Einschätzung nach bestehen Organisationen aus einer "doppelten Wirklichkeit". Es gibt die Welt der geplanten Abläufe und die Welt der kreativen Korrekturen und ungeplanten Improvisationen.
Mit anderen Worten: Das Personal hat gegenüber der Technik, den Organigrammen und Plänen einen besonderen eigenen Stellenwert. Dies anzuerkennen, ist die Basis einer guten Personalarbeit.
Was haben meine bisherigen Darlegungen mit Digitalisierung zu tun? Sehr viel. Denn meines Erachtens wird in vielen Unternehmen die Welt, die sich nicht lückenlos planen lässt, mit der Digitalisierung erheblich an Bedeutung gewinnen. Wenn zunehmend vernetzte technische Systeme eingesetzt werden, die zudem häufig neu organisiert, ergänzt und optimiert werden müssen, dann gewinnen die Aufgaben an Gewicht, die sich nicht vollständig planen und kontrollieren lassen. Hierzu zählen die Planung technischer Systeme, die Gewährleistung der Funktionsfähigkeit, die Wartung und Optimierung sowie die Kooperation mit Kolleg*innen innerhalb der langen Kette der Bearbeitungsschritte. Weil das so ist, benötigen Unternehmen kreatives und interaktionsfähiges Personal mit bereichsübergreifender Fachkompetenz. Eine der Folgen: Die Arbeitsprozesse müssen so gestaltet werden, dass es den Beschäftigten auch möglich ist, kreativ, eigenmotiviert und eigenmächtig zu handeln.
Personalarbeit für die erste Welt und in ihr bedeutet, Aufgaben, Zuständigkeiten und Abläufe zu definieren, Personal diesen Bereichen zuzuordnen und dafür zu qualifizieren. Personalarbeit für die zweite Wirklichkeit und in ihr verlangt, die Rolle des Personals so zu gestalten, dass Beschäftigte nicht allein Objekte von Planungen sind, sondern Subjekte bleiben, die sich mit eigenen Zielen, Problemsichten und Lösungen in die Gestaltung einbringen können. Dies erfordert spezifische Personal-Leitbilder, um auf lange Sicht entsprechende Haltungen und Orientierungen zu entwickeln. Was viele Unternehmen nicht wissen: Sie produzieren nicht nur Waren, sondern in dem eben geschilderten Sinne zwangsläufig auch Arbeitskräfte. Dies tun sie eben mit Hilfe solcher Leitbilder, die dann mehr oder weniger direkt die Gestaltung von Arbeit und Produktion beeinflussen.
In einem digitalisierten Unternehmen ist der bequeme und nur über Geld motivierbare homo oeconomicus ein verengtes und veraltetes Leitbild, das eher schadet als hilft. Geeigneter ist ein Leitbild, dass sich am Entrepreneur oder dem "Arbeitskraftunternehmer" orientiert. Dieser Typus verhält sich in zweierlei Hinsicht unternehmerisch: zum einen gegenüber seiner eigenen Arbeitskraft und zum anderen gegenüber der verantwortlichen Erledigung seiner Aufgaben.
3 Einflüsse der Digitalisierung
Digitalisierung besteht in einer stärkeren IT-gestützten Vernetzung von Produktionsplanung, Produktionsmitteln, Kunden und Beschäftigten. Das Internet spielt dabei eine wichtige Rolle, aber auch Algorithmen, die helfen, immer mehr Prozesse zu automatisieren. Digitalisierung ist darüber hinaus nicht allein ein technischer Prozess. Sie schließt auch die Neugestaltung der Arbeitsorganisation, der Kundenbeziehungen und der Rollen und Funktionen des Personals ein. Noch weitere Aspekte gehören untrennbar zur Digitalisierung dazu. Sie entwickelt sich in einem komplexen Spannungsfeld von teilweise sehr unterschiedlichen strategischen Interessen und sie ist zudem dem Einfluss von Moden und Leitbildern ausgesetzt. Ihr Verhältnis zur Personalarbeit ist dementsprechend nicht ein-, sondern vielfältig und gestaltungsoffen. Für das Verhältnis von Mensch und Technik sind verschiedene Szenarien denkbar:
- Die Technik ersetzt den Menschen
- Der Mensch wird Anhängsel der Technik
- Mensch und Technik werden zu einem Team
Ich halte alle drei Szenarien für möglich. Das dritte wird jedoch die Entwicklung prägen (Gerst 2019). Der Hintergrund für meine Annahme: Produktionsprozesse werden komplexer, womit Stellenwert und Notwendigkeit von kreativer und eigenmotivierter Intervention steigen. Während Routinetätigkeiten verringert werden, nehmen andere Tätigkeiten zu. Beispielsweise:
- Die Gewährleistung vernetzter technischer Systeme
- Die Kooperation mit räumlich verteilten Beschäftigten
- Der Aufbau von Netzwerken und die Kommunikation innerhalb von ihnen
- Die Aneignung und Anwendung fachübergreifender Kompetenz
- Die persönliche Bewältigung der sich häufenden Reorganisationen
Dies hat mit Sicherheit Auswirkungen auf verschiedene Handlungsfelder der Personalarbeit. Ich skizziere im Folgenden die Tendenzen, die ich für die wichtigsten halte:
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Diese heute bereits erkennbaren neuen Anforderungen lassen sich am Besten in einer intensiven und konstruktiven Zusammenarbeit mit der betrieblichen Interessenvertretung bewältigen. Schließlich geht es darum, die Beschäftigten als eigenmotivierte Unterstützer von komplexen Modernisierungsprozessen zu gewinnen.
Hierzu hat die IG Metall ein Workshopkonzept entwickelt: Die Betriebslandkarte Arbeit und Industrie 4.0 ermöglicht die Auswirkungen der Digitalisierung auf verschiedene Unternehmensbereiche sowie die daraus resultierenden Anforderungen zu ermitteln und die Arbeitssysteme anschließend konstruktiv im Interesse der Betriebspartner zu gestalten.
4 Literatur
Boes, Andreas; Bultemeier, Anja (2010): Anerkennung im System permanenter Bewährung. In: Soeffner, Hans-Georg (Hrsg.): Unsichere Zeiten. Herausforderungen gesellschaftlicher Transformationen. Verhandlungen des 34. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Jena 2008, Band 2, Begleit-CD. VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Gerst, Detlef (2019): Autonome Systeme und Künstliche Intelligenz. Herausforderungen für die Arbeitssystemgestaltung. In: Hirsch-Kreinsen, Hartmut; Karcic, Anemari (Hrsg): Autonome Systeme und Arbeit. Perspektiven, Herausforderungen und Grenzen der Künstlichen Intelligenz in der Arbeitswelt. Bielefeld: Transcript, S. 101-138.
Sprenger, Reinhard (2012): Radikal führen. Frankfurt/New York: Campus.
Weltz, Friedrich (1999): "Der Traum von der absoluten Ordnung und die doppelte Wirklichkeit der Unternehmen", in: Hildebrandt, Eckart (Hrsg.), Betriebliche Sozialverfassung unter Veränderungsdruck, Berlin: Springer, S. 85-97.
Autor
Detlef Gerst
Detlef.Gerst(at)igmetall.de