Gesundheit wird heute umfassender als früher in ihren verschiedenen Wechselwirkungen mit sozialen und psychischen Aspekten betrachtet. Entsprechend wird Prävention zur anspruchsvollen Führungs- und Managementaufgabe. Neben dem Wohlbefinden der Mitarbeiter rücken zunehmend Produktivitätsgesichtspunkte in den Mittelpunkt des Interesses. Auch kleine und mittlere Unternehmen können mit relativ einfachen Mitteln und Vorgehensweisenerhebliche Effekte erzielen - und dabei von den Großen lernen.
Der Unternehmenserfolg hängt maßgeblich von den Mitarbeitern ab, sie sind die wichtigste Ressource. Führung und Management sind so gut, wie es ihnen gelingt, die Arbeit der Mitarbeiter auf den Unternehmenserfolg auszurichten - nicht nur die Arbeit des Einzelnen, sondern besonders auch die Zusammenarbeit der Mitarbeiter.
Die Mitarbeiter als Ressource des Unternehmenserfolgs
- Qualifizierte Mitarbeiter
- Gesunde Mitarbeiter
- Motivierte Mitarbeiter
- Gute soziale Beziehungen
- Gegenseitige kollegiale Unterstützung
- Effektive und effiziente Kommunikation
Originäre Führungsaufgabe ist die Pflege und Entwicklung der Mitarbeiterressourcen. Weil sich heutzutage die Märkte und das gesamte Umfeld der Unternehmen - damit auch die Anforderungen an ihre Mitarbeiter sehr schnell verändern, ist das Management der Ressource Mitarbeiter eine überaus anspruchsvolle Aufgabe geworden, die nicht nur mehr Kapazität als in früheren Zeiten, sondern auch eine höhere Professionalität und persönliche Führungskompetenz erfordert.
Gesundheit, Motivation und Kommunikation der Mitarbeiter sind als Potentiale der Produktivitätsentwicklung in vielen Unternehmen zunehmend gefährdet. Alle drei Aspekte hängen eng miteinander zusammen, bedingen einander.
Gesundheit - ein positives Konzept
Bereits 1986 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Bedeutung sozialer neben den individuellen Ressourcen für die Gesundheit betont und als Zielperspektive umfassender Gesundheitspolitik nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, sondern - darüber weit hinausgehend - die Förderung umfassenden Wohlbefindens formuliert:
"Gesundheit steht für ein positives Konzept, das in gleicher Weise die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit ebenso betont wie die körperlichen Fähigkeiten. Die Verantwortung für Gesundheitsförderung liegt deshalb nicht nur bei dem Gesundheitssektor, sondern bei allen Politikbereichen und zielt über die Entwicklung gesünderer Lebensweisen hinaus auf die Förderung von umfassendem Wohlbefinden."
Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation (WHO); zitiert nach Badura, Hehlmann (Hrsg.) 2003
Moderne Konzepte der Gesundheitsprävention haben im Gefolge der Ottawa-Charta der WHO den Begriff der psychosozialen Gesundheit geprägt.
Komponenten psychosozialer Gesundheit
in Anlehnung an Huber, 2002
Wenn man diese Zusammenhänge berücksichtigt, kann sich Gesundheitsförderung als Führungsaufgabe im Sinne des Managements der Ressource Mitarbeiter nicht in individuellen verhaltensbezogenen Maßnahmen wie z. B. der Einführung von Arbeitsschutzkleidung, ergonomischer Bildschirme, Schulungen zur besseren individuellen Bewältigung der steigenden Informationsfluten und dergleichen erschöpfen - so wichtig all dies auch ist. Daneben ist es genauso wichtig, Motivation und Kommunikation im Unternehmen positiv zu beeinflussen, zu verbessern und zu gestalten.
Verhaltens- und Verhältnispräventions
Prävention zur Erhaltung und Entwicklung der psychosozialen Gesundheit in einem Unternehmen umfasst immer zweierlei: Verhaltensprävention und Verhältnisprävention. Erstere bezeichnet Maßnahmen, die am einzelnen Mitarbeiter ansetzen, auf die Beeinflussung seines Verhaltens zielen und fällt oft in den Verantwortungsbereich der unteren und mittleren Führungskräfte.
Maßnahmen der Verhältnisprävention dagegen verändern Arbeitsabläufe und organisatorische Strukturen. Sie liegen meist im Verantwortungs- und Entscheidungsbereich der Geschäftsführung. In jedem Unternehmen erfordert Prävention im Interesse der psychosozialen Gesundheit einen spezifischen Mix aus beidem: Aus Verhaltens- und Verhältnisprävention.
Verhaltensprävention (Beispiele) | Verhältnisprävention (Beispiele) | |
Geschäftsführung |
|
|
Untere und mittlere Führungskräfte |
|
|
Verhältnisprävention einerseits und Verhaltensprävention andererseits ergänzen oft einander. Zum Beispiel sollten flexible Arbeitszeitstrukturen, die im Entscheidungsbereich der Geschäftsführung liegen, von den unteren und mittleren Führungskräften "verhaltenspräventiv" durch einen die Selbstständigkeit der Mitarbeiter fördernden Führungsstil unterstützt werden.
Beispiel In einem mittelständischen produzierenden Unternehmen (ca. 100 Beschäftigte) wurden nach einer umfassenden Analyse psychischer Belastungen in verschiedenen Bereichen Quellen für psychische Fehlbelastungen identifiziert. Auf dieser Grundlage wurde folgende Kombination von verhältnis- und verhaltenspräventiven Maßnahmen zur Reduzierung psychischer Fehlbelastungen entwickelt:
Darüber hinaus gab es eine Reihe von Vorschlägen für spezifische Einzelmaßnahmen aus den Gesundheitszirkeln, die hier unberücksichtigt bleiben. |
Der "richtige" Mix
Wie kommt man nun in einem Unternehmen zu dem richtigen - spezifischen - Mix aus verhaltens- und verhältnispräventiven Maßnahmen, das geeignet ist, Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeiter und damit wesentliche Potentiale des Unternehmens zu erhalten bzw. zu verbessern? Dafür gibt es kein Rezept, aber einige Faustregeln.
1. Kommunikation und Beteiligung
Wie nutzt man die Tatsache verschiedener interner Sichtweisen? In jedem Fall lohnt es sich für eine Unternehmensleitung, das diagnostische Potential verschiedener Sichtweisen im Unternehmen
- Linienvorgesetzte der verschiedenen Bereiche
- Betriebsrat
- Mitarbeiter verschiedener Bereiche
- Personalabteilung
- Arbeitssicherheitsbeauftragter, Arbeitsschutzausschuss. u. a.
zu nutzen, um in der Zusammenschau besondere Belastungsschwerpunkte im Unternehmen zu identifizieren. So kann es z. B. sein, dass den Meistern als den Linienvorgesetzten der untersten Ebene die Belastungen, denen ihre Mitarbeiter durch einseitige, monotone Tätigkeiten bei gleichzeitig hohem Verantwortungsdruck ausgesetzt sind, besonders auffällt, während der Personalleiter die besonderen Belastungen der Meister durch gegenläufige Erwartungen einerseits seitens der Produktionsleitung andererseits von Seiten ihrer Mitarbeiter wahrnimmt usw.
Die ergänzende Zusammenführung der aus verschiedenen Perspektiven formulierten Belastungsschwerpunkte zu einem ersten diagnostischem Gesamtbild bedarf der methodischen Unterstützung: Kommunikation und Mitarbeiterbeteiligung (Befragungen, Gruppenworkshops u. a.) sind die zentralen Stichworte.
2. Belastungsanalyse
Welche Schwerpunkte bestehen im Einzelnen? Dieses erste Gesamtbild kann vertieft werden durch eine Analyse der einzelnen Belastungsschwerpunkte, die eine genauere Vorstellung von Ausmaß, Intensität und Auswirklungen vermittelt. Dazu steht mittlerweile eine Vielzahl von Methoden zur Verfügung.
Die einfachsten und oft auch geeignetsten Methoden sind leitfadengestützte Befragungen und/oder Gespräche mit den Mitarbeitern und/oder Führungskräften in den jeweiligen Bereichen, die als Experten der dort bestehenden Bedingungen angesprochen werden. Darüber hinaus können Messverfahren zur Ermittlung objektiver Belastungen eingesetzt werden, deren Handhabung jedoch oft arbeitsmedizinische bzw. arbeitswissenschaftliche Experten erfordert.
Umfassende Analyse mithilfe eines Instituts In dem oben bereits erwähnten Unternehmensbeispiel wurde eine Analyse der psychischen Belastungen mit folgenden Methoden durchgeführt: Erste Phase: Erfassung und Bewertung der Arbeitssituation
|
Eine derart umfassende Analyse der psychischen Belastungen in einem Unternehmen ist nur möglich mit Hilfe eines erfahrenen Instituts: Der Einsatz der Methoden ist aufwendig und deren Handhabung ebenso wie die Auswertung der Ergebnisse nur professionell möglich.
Aber der Nutzen für ein Unternehmen geht weit über die Identifikation psychischer Fehlbelastungen hinaus. Probleme in den Abläufen, in der Kommunikation wie auch Verbesserungspotentiale werden ebenfalls transparent und damit bearbeitbar.
Alternativ kann auch mit sehr viel weniger Aufwand das Wissen der Mitarbeiter über besondere Belastungsschwerpunkte in kurzen gut strukturierten Verbesserungsworkshops (moderierte Gruppenbefragung) ermittelt werden.
Moderierte Gruppenbefragung (Mitarbeiter ohne Vorgesetzte) Der Moderator sollte nicht aus dem Arbeitsbereich der Befragten kommen; am besten geeignet ist meist ein Moderator von außerhalb des Unternehmens, mindestens aber von außerhalb des betroffenen Bereiches. 1. Welche besonderen Belastungen/Belastungsschwerpunkte sehen Sie
(Diese Bereiche werden nacheinander abgefragt. Die Antworten werden anonym vom Moderator protokolliert/visualisiert) 2. Welche Auswirkungen haben diese Belastungen einerseits auf die
(jede(r) Belastung(sschwerpunkt) wird separat abgefragt, die Antworten werden wiederum anonym protokolliert/visualisiert) 3. Welche Verbesserungen schlagen Sie vor? (Es entsteht eine Liste von Verbesserungsvorschlägen, die von der Gruppe mittels Vergabe von Klebepunkten priorisiert werden) 4. Welche Maßnahmen sollten aus den 5 wichtigsten Verbesserungsvorschlägen resultieren? (Der Maßnahmenkatalog ist das wesentliche Ergebnis der moderierten Gruppenbefragung) Die Ergebnisse werden vom Moderator einem Kreis von Führungskräften - wenn vorhanden mit Betriebsrat - präsentiert. Dieser Kreis sollte möglichst sofort über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. |
3. Prioritäten setzen
Was zuerst, was später und was gar nicht? In den seltensten Fällen wird ein Unternehmen alle ermittelten Belastungsschwerpunkte sofort und gleichzeitig bearbeiten können, insofern ist die Bildung von Prioritäten sinnvoll. Auch hier stellt sich die Frage der methodischen Unterstützung.
Besonders bewährt haben sich Workshops im Führungskreis mit Beteiligung von Betriebsrat und Arbeitsschutzausschuss, wo die Ergebnisse der diagnostischen Bemühungen präsentiert, diskutiert und schließlich die verschiedenen Belastungsschwerpunkte prioritär bewertet werden. In Unternehmen ohne Betriebsrat sollte die Einbeziehung der Mitarbeitersichtweise auf andere geeignete Weise realisiert werden, z. B. indem Mitarbeiter, die in der Belegschaft besonders angesehen sind, hinzugezogen werden.
4. Einzelprojekte bzw. -maßnahmen definieren
Wer macht was bis wann? Wenn dieser Punkt der Priorisierung erreicht wurde, ist der Prozess "reif" für eine Handlungsplanung, für eine Übersetzung in Maßnahmen des Belastungsabbaus bzw. - bei größerem Umfang - in entsprechende Projekte mit operativen Zuständigkeiten. Es empfiehlt sich in diesem Fall die Einrichtung einer Projektsteuerungsgruppe aus
- Führungskräften mit Entscheidungskompetenzen
- Betriebsratsmitgliedern
- Arbeitsschutzausschuss
Diese Steuerungsgruppe begleitet den Prozess und trifft die erforderlichen Entscheidungen. In kleineren Unternehmen kann diese Funktion auch von der Geschäftsführung in beratender Abstimmung mit dem Arbeitsschutzausschuss wahrgenommen werden.
5. Externer Sachverstand
Wer bietet geeignete Unterstützung? Oft werden Fehlbeanspruchungen, Kommunikationsstörungen, Motivationsprobleme in Unternehmen von den Führungskräften und der Geschäftsführung aber (seltener) auch von Mitarbeitern gar nicht wahrgenommen oder zumindest nicht offen angesprochen:
- Nachteile werden befürchtet, oder
- man ist stolz darauf ist, dass man "sein letztes gibt" und dies wird für selbstverständlich gehalten, oder
- jemand, der über empfundene Belastungen klagt, muss befürchten, mit dem Hinweis, jeder müsse hier schließlich arbeiten, abgefertigt zu werden, bzw. als nicht belastbar zu gelten, usw.
In vielen Unternehmen besteht eine Kultur des Ausblendens oder sogar der Tabuisierung von Gesundheitsbelastungen. Solche kulturellen Faktoren prägen die Wahrnehmung - sie sind nur schwer veränderbar.
Externe Wahrnehmung kann hier Abhilfe schaffen und einem Unternehmen helfen, Schwerpunkte der Gefährdung der psychosozialen Gesundheit ins Blickfeld der Selbstwahrnehmung zu rücken. Kompetente Ansprechpartner für eine erste Diagnose können die Krankenkassen, z. B. die AOK mit ihrem Service Gesunde Unternehmen, die Berufsgenossenschaften oder Unternehmensberater mit Erfahrungen in Gesundheitsprävention sein.
Auch ohne externen Sachverstand bietet die systematische Nutzung der verschiedenen internen Sichtweisen (insbesondere die der Mitarbeiter) gute diagnostische Möglichkeiten.
Autor
Dr. Thomas Hoffmann
thoffmann(at)gmx.net